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September 25, 2020
Von Brooke Wolford und Kumar Veerapen, ins Deutsche übersetzt von Nils Koelling, Eva Schulte, Claudia Schurmann und Alexander Teumer stellvertretend für die COVID-19 HGI
Disclaimers: Wir möchten Sie zunächst darauf hinweisen, dass die hier vorgestellte Forschung noch nicht abgeschlossen ist. Während wir bereits erste Erkenntnisse gewinnen, benötigen wir weitere Daten, um ein solides Verständnis der genetischen Grundlage von COVID-19 zu erhalten. Je mehr Daten wir unserer Studie hinzufügen, desto sicherer können wir sein, dass die von uns beobachteten Zusammenhänge tatsächlich existieren und für verschiedene Personen- und Patientengruppen repräsentativ sind. Weiterhin sind wir nicht in der Lage, Ihr persönliches Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung aufgrund Ihrer Genetik zu beurteilen. Nutzer unserer Ergebnisse sollten unsere Erkenntnisse nicht dazu verwenden, COVID-19-Patienten anhand ihres Genotyps zu diagnostizieren, und sollten immer einen Arzt konsultieren, um medizinische Entscheidungen zu treffen. Sollte Ihnen ein hier aufgeführter Begriff nicht geläufig ist, senden Sie uns bitte eine E-Mail an hgi-faq@icda.bio - wir aktualisieren die Informationen auf unserer Webseite gerne, um mehr Klarheit zu schaffen. In den kommenden Wochen werden zusätzliche Informationen zur Erläuterung von Konzepten oder Terminologie zur Verfügung gestellt werden. In der Zwischenzeit empfehlen wir diese Seite, um die Grundlagen der Genetik kennenzulernen bzw. aufzufrischen.Die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt den Alltag von uns allen. Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten hart daran, das Virus und die Krankheit besser zu verstehen. Wir vertreten eine solche Gruppe - die Initiative zur Erforschung genetischer Faktoren von COVID-19 (COVID-19 HGI, engl. Host Genetics Initiative) - ein internationales Team von Genetikern, das sich darauf konzentriert, Genvarianten des Menschen zu identifizieren, die das individuelle Infektionsrisiko von SARS-CoV-2 und die daraus resultierende Erkrankung COVID-19 beeinflussen. Uns interessiert dabei vor allem, welche Teile der menschlichen DNA beeinflussen können, ob jemand COVID-19 entwickelt und wenn ja, wie krank er oder sie wird.
In unserer Studie vergleichen wir die genetische Variation von Patienten mit einem positiven Test auf SARS-CoV-2, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, und Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Dieser Vergleich wird als genomweite Assoziationsstudie (genome-wide association study, GWAS) bezeichnet. Sehen Sie sich dieses Video oder diese Infografik an, um eine illustrierte Erklärung der GWAS zu erhalten. Bis zum Juli 2020 konnten wir die Ergebnisse von acht verschiedenen Studien mit insgesamt 3.199 Patienten und 897.488 Kontrollen zusammenfassen.
Abbildung 1 fasst die aktuellen Ergebnisse der COVID-19 HGI grafisch zusammen. Diese Darstellungsweise wird als Manhattan-Plot bezeichnet; eine vollständige Beschreibung dieser Grafik finden Sie in der Fußnote. Kurz gesagt, ein Manhattan-Plot wird verwendet, um Assoziationen zwischen einem Merkmal (z.B. COVID-19) und genetischen Varianten über das gesamte Genom hinweg zu visualisieren. Hierbei sehen wir eine statistisch signifikante Region auf Chromosom 3 (erkennbar als gepunktete vertikale Linie über Chromosom 3 auf der horizontalen x-Achse). Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, beinhaltet diese Region mehrere Gene. Bisher ist nicht klar, welches Gen innerhalb dieser Region mit dem COVID-19-Schweregrad assoziiert ist. Es bedarf zusätzlicher Forschung, um die statistisch signifikante Region auf eine spezifische genetische Veränderung oder ein spezifisches Gen einzugrenzen, das den Schweregrad von COVID-19 beeinflusst. Dennoch sind bereits einige interessante Kandidaten dabei. So befinden sich in der Region einige Gene, die mit Chemokinen im Zusammenhang stehende Proteine kodieren. Chemokine steuern die Bewegung von Immunzellen und sind essentiell für die korrekte Funktion des angeborenen Immunsystems. Das Gen SLC6A20, das sich ebenfalls in der assoziierten Region befindet, kodiert ein Protein, welches an das Protein ACE2 bindet und mit diesem kommuniziert. Das Protein ACE2 ist wie eine Tür, durch die das SARS-CoV-2 Virus in unsere Zellen eintreten kann (Abbildung 3). Somit ist es möglich, dass genetische Variationen in SLC6A20 das Eindringen des Virus in die Zelle beeinflussen könnten. Die hier gefundenen genetischen Assoziationen sind aber nur der erste Schritt des Forschungsvorhabens..
In den Medien wurde darüber berichtet, dass ein Zusammenhang zwischen der COVID-19 Erkrankung und Blutgruppen beobachtet wurde, wobei die Blutgruppe A mit einem erhöhten Risiko und Gruppe 0 mit einem protektiven Effekt korrelieren. In einem kürzlich in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlichten Artikel wurde eine genetische Assoziationsstudie zu schwerem COVID-19 Krankheitsverlauf (z.B. durch Atemversagen bedingte Einweisung in ein Krankenhaus) bei 1.980 Patienten aus Spanien und Italien beschrieben (und ebenso von 23andMe repliziert). In dieser Studie war das Blutgruppen bestimmende Gen ABO auf Chromosom 9 statistisch signifikant mit COVID-19 assoziiert. Allerdings wurden in dieser Studie Blutspender als gesunde Kontrollgruppe genutzt, die im Allgemeinen einen höheren Anteil von Trägern der Blutgruppe 0 aufweisen und somit keine optimale Kontrollgruppe darstellen. Dies zeigt sich auch in unseren Ergebnissen: Anhand des Manhattan-Plots in Abbildung 1 kann man keine statistisch signifikante Assoziation (d.h. Punkte oberhalb der roten Linie) auf Chromosom 9 erkennen. Das bedeutet, dass die in der COVID-19 HGI durchgeführte Analyse, die auch die Daten der im NEJM veröffentlichten Studie beinhaltet, den Zusammenhang des ABO Blutgruppen-Gens nicht bestätigt. Wir benötigen größere Fallzahlen, um eine mögliche Assoziation dieser Region mit COVID-19 klären zu können.
Kein Studiendesign ist perfekt, und wir möchten einige Schwachpunkte unserer Forschung hervorheben. Erstens, die oben beschriebenen Ergebnisse sind vorläufig und stammen aus der Datenerfassung vom Juli 2020. Zwar verfügen wir über ausreichend Daten für erste Studien, aber größere Stichproben für zukünftige Analysen werden uns dabei helfen, valide Schlussfolgerungen ziehen zu können. Größere Stichproben bedeuten zwar bedauerlicherweise auch, dass sich mehr Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert haben, aber sie verbessern auch unsere Möglichkeiten, Muster im Zusammenspiel zwischen der Genetik des Patienten und dem Krankheitsverlauf zu identifizieren.
Zweitens kann die Definition des Schweregrades der Erkrankung von einer individuellen Studie zur anderen variieren. Darüber hinaus ist eine Annahme, dass die Kontrollen kein COVID-19 haben. Wir wissen aber, dass es auch asymptomatische Krankheitsverläufe gibt, so dass einige dieser "Kontrollen" tatsächlich an COVID-19 erkrankt sein könnten. Diesen Einschränkungen kann jedoch entgegengewirkt werden, indem die Anzahl der untersuchten Patienten und Kontrollen erhöht wird: Je mehr Daten wir analysieren, desto geringer ist das Risiko, eine durch das Studiendesign bedingte falsch positive Assoziation zu erhalten. Sobald ein positives Ergebnis gefunden wurde, können wir eine kleinere Studie mit einem präziseren Krankheitsbild zur Überprüfung unserer Befunde durchführen. Letztendlich werden im weiteren Verlauf molekularbiologische Forschungsansätze benötigt werden, um mit Hilfe unserer erlangten genetischen Erkenntnisse auch die Krankheitsmechanismen besser verstehen zu können.
Um die Fallzahl für die Analysen erhöhen zu können, freuen wir uns jederzeit über die Beteiligung weiterer Studien an unseren Analysen. Die nächste Analyse der dann vorhandenen Daten ist für Ende September geplant. Erste Ergebnisse hieraus sollen Anfang Oktober veröffentlicht werden. Wir hoffen, weitere Erkenntnisse anhand der nächsten Ergebnisse zu erlangen, wobei sich die zu erwartende Fallzahl um etwa 50% erhöhen wird. Weiterhin erwarten wir einen umfangreicheren Datensatz mit präziseren Informationen zu den COVID-19 Symptomen der Patienten. Wir werden an dieser Stelle über unsere Erkenntnisse vom Oktober 2020 berichten. Unsere vorläufigen Ergebnisse sind der Beginn der eigentlichen Detektivarbeit. So können unser Konsortium sowie andere Wissenschaftler Folgeanalysen durchführen, um die biologischen Prozesse, in die die gefundenen Gene involviert sind, und ihren Zusammenhang mit der COVID-19 Erkrankung besser zu verstehen.. Unter diesem Link können Sie mehr über die genannten Folgestudien erfahren. Eine dieser Studien untersucht, wie die genetische Variation im Zusammenhang mit besonders schweren Krankheitsverläufen steht. Wir sind gespannt darauf, unsere genetischen Erkenntnisse besser verstehen zu können und hoffen, dass dadurch die Versorgung der COVID-19 Patienten und die Behandlung der Erkrankung verbessert werden kann.
Weitere Informationen über die Arbeit der COVID-19 HGI können der einschlägigen Presse entnommen werden:
Unser Dank gilt Rachel Liao, Caitlin Cooney, CGC, Karen Zusi, Andrea Ganna, Alina Chan, Sophie Limou, Shea Andrews, und Jamal Nasir für die hilfreichen Rückmeldungen und Korrekturen.
Ein Manhattan-Plot (der Name wurde gewählt, da das Profil wie die Skyline von New York City aussehen sollte), ist eine typische Darstellung von GWAS-Ergebnissen. Die horizontale Linie oder x-Achse ("Chromosome") zeigt die Positionen der genetischen Varianten auf den 23 Chromosomen an (Menschen haben 22 Chromosomenpaare plus eine Kombination der Geschlechtschromosomen X und Y — mit Chromosom 23 ist hier das X-Chromosom gemeint). Die vertikale Linie oder y-Achse zeigt ein Maß statistischer Signifikanz, die sogenannten p-Werte, die so transformiert sind, dass sie in negativer logarithmischer Skala vorliegen. Jeder Punkt auf dem Diagramm zeigt die statistische Signifikanz (den p-Wert) der Assoziation zwischen einer genetischen Variante an einer bestimmten Position auf einem Chromosom und dem bei allen untersuchten Personen erhobenen Krankheitsstatus an. Die untersuchten genetischen Varianten werden Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP, english single nucleotide polymorphism; ausgesprochen "Snip") genannt. Je höher der Punkt auf der vertikalen Achse liegt, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser SNP mit dem jeweiligen Ergebnis assoziiert ist (z.B. COVID-19 Schweregrad). Unsere Methodik ist konservativ: Während viele Studien einen p-Wert von weniger als 0,05 erfordern, um einen Befund als signifikant zu betrachten, benötigen wir einen p-Wert von weniger als 0,00000005 (gekennzeichnet durch die rote Linie), um die Assoziation von einem Zufallsbefund zu trennen. Liegt der Punkt über der roten Linie, betrachten wir die genetische Assoziation als "statistisch signifikant" und können daher Experimente zur weiteren Validierung und zum Verständnis der biologischen Relevanz der SNPs durchführen.